Eine Koalition zum Schutz von Migrant*innen und Geflüchteten vor Gewalt an den Grenzen

Wir werden Griechenland und die EU für die begangenen Rechtsverletzungen an Migrant*innen und Geflüchteten, die aus der Türkei geflohen sind, verantwortlich machen.

Die Verletzung der Grundrechte von Migrant*innen und Geflüchteten, die über Griechenland die EU erreichen wollen, haben in den vergangen Tagen eine neue Eskalationsstufe erreicht. Dabei sind die Bedingungen für diese neue Eskalation keineswegs neu. 2015 stellte die EU ihr „Hotspot- Konzept“ vor, welches Italien und Griechenland die Verantwortung für die Sortierung ankommender Migrant*innen und Geflüchteten auferlegte. Im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens von 2016 wurden irreguläre Grenzübertritte zeitweise begrenzt. Die beiden Entwicklungen haben die Ägäischen Inseln zu Freiluftgefängnissen gemacht und die humanitäre Katastrophe an den griechischen Grenzen drastisch verschärft. Darüber hinaus fällt die unhaltbare Kooperation mit der Türkei – von der Zivilgesellschaft angeprangert – wenig überraschend in sich zusammen, indem türkische Sicherheitskräfte Migrant*innen und Geflüchteten Richtung europäischer Außengrenzen schicken und so den Druck auf die EU erhöhen.

Im März 2016 unterzeichnete die EU ein Abkommen mit der Türkei, wodurch eine Zeitlang die Zahl der Überfahrten reduziert wurde. Doch die beiden Entwicklungen verwandelten die Inseln der Ägäis in Freiluftgefängnisse und verschärften eine humanitäre Katastrophe an den Grenzen Griechenlands. Und die unhaltbare Zusammenarbeit mit der Türkei – die von der Zivilgesellschaft angeprangert wird – bricht nun wenig überraschend zusammen, da die türkischen Behörden versuchen, die EU unter Druck zu setzen, indem sie Migrant*innen und Flüchtlinge in ihre Richtung schicken.

Angesichts der steigenden Zahlen von Kriegsflüchtlingen und der gleichzeitigen Drohungen seitens der türkischen Behörden wenden die griechischen Sicherheitskräfte in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß Gewalt an – unterstützt von Teilen der lokalen Bevölkerung. Auf See blockiert die griechische Küstenwache Boote mit Migrant*innen und Geflüchteten an Bord. Sie schießt in die Luft und hat bereits Passagier*innen verwundet. Ein Kleinkind hat die Überfahrt nicht überlebt und ist ertrunken. An Land kommt es entlang des Evros regelmäßig zu Pushbacks. Videoaufnahmen, die erst von griechischen Behörden als Fake-News bezeichnet und später von Forensic Achritecture als echt verifiziert wurden, zeigen einen syrischen Flüchtling, der an der Grenze erschossen wurde. Zeitgleich werden Aktivist*innen, die Migrant*innen und Geflüchteten unterstützen, kriminalisiert und von rechtsextremen Gruppen attackiert. Die Rechtsbrüche gehen unvermindert weiter und die grundlegenden Prinzipien des Asylrechts sind außer Kraft gesetzt.

Die griechischen Behörden senden eine eindeutige Botschaft an potenzielle Migrant*innen und Geflüchtete, die sich in den Worten des griechischen Außenministeriums auf Twitter so anhört: „Niemand kann die griechischen Grenzen passieren“. Die griechische Strategie der Abschottung wird von der EU unterstützt. Der Präsident des Europäischen Rats, Charles Michel, hat die griechischen Bestrebungen zur europäischen Grenzsicherung gelobt, während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Griechenland gar als „Europäisches Schutzschild“ bezeichnet. Beide Äußerungen unterliegt der grundlegende Gedanke, dass unbewaffnete Migrant*innen und Geflüchtete eine physische Bedrohung für Europa darstellen. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex bereitet eine „schnelle Intervention an der Grenze“ vor. Kurzum scheint Griechenland und der EU jedes Mittel recht, wenn es darum geht, Migrant*innen und Geflüchtete an der Grenze abzuwehren und so die Wiederholung von 2015, als eine große Anzahl an Menschen die EU erreichte und europaweit politische Erdbeben auslöste, zu verhindern.

Wir verurteilen die Instrumentalisierung von Geflüchteten seitens der EU, der Türkei sowie die griechischen und europäischen Maßnahmen, die einzig und allein darauf abzielen, Geflüchteten den Zutritt in die Europäische Union zu verwehren, aufs Schärfste. Kein politisches Ziel rechtfertigt derartige Rechtsverletzungen. Menschen, die vor Gewalt fliehen, dürfen keine Gewalt an der Grenze erfahren. Unsere Organisationen bündeln alle Kräfte, um Staaten für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Wir planen die Dokumentation von Verstößen und versuchen darüber hinaus alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für Rechtsverletzungen von Migrant*innen, Geflüchteten und Aktivist*innen verantwortlich sind. Wir werden alle investigativen und rechtlichen Hebel in Bewegung setzen, um die staatliche Gewalt zu beenden und den besorgniserregenden Trend der Multiplizierung von Pushbacks in Griechenland umzukehren – ein Trend, der in unterschiedlichem Ausmaß an den sich verschiebenden Grenzen der EU zu beobachten ist.

Migrant*innen und Geflüchtete stellen keine Bedrohung für die EU dar, vor der es sich zu schützen gilt. Vielmehr sind sie auf ihrem gefährlichen Weg selbst von staatlicher Gewalt bedroht. Wir nutzen das Instrument der Menschenrechte, um Migrant*innen und Geflüchtete vor der Brutalität, die sich gegen sie richtet, zu schützen.

unterzeichnende Organisationen :

  • Are You Syrious
  • Association Européenne pour la défense des Droits de l’Homme
  • Asylkoordination österreich
  • Avocats Européens Démocrates
  • Borderline Europe Human Rights without Borders
  • Forensic Architecture and Forensic Oceanography
  • Forschungsgesellschaft Flucht und Migration
  • Global Legal Action Network
  • HIAS Greece
  • HumanRights360
  • Legal Center Lesbos
  • Legal Team Italia
  • Medico international
  • Mediterranea Saving Humans
  • Migreurop
  • Milano Senza Frontiere
  • PRO ASYL
  • Progressive Lawyers Association
  • Refugee Support Aegean
  • Sea-Watch
  • WatchTheMed Alarm Phone